Foto von Carl Adam Petri
Ringträger 1996

Carl Adam Petri

* 12. Juli 1926 in Leipzig, † 2. Juli 2010 in Siegburg

Carl Adam Petri erhielt den Werner-von-Siemens-Ring für seine bahnbrechenden Entwicklungen in der Informatik: Er nutze sie, um komplexe technische und organisatorische Systeme zu gestalten.
Schöpfer der Netztheorie zur Gestaltung komplexer Systeme

Bei Carl Adam Petri handelt es sich zweifellos um eine der profiliertesten und einflussreichsten Persönlichkeiten der deutschen Informatik. In einer Zeit, als der Prozessbegriff noch gar nicht in die Informatik eingeführt war, veröffentlichte Petri 1962 eine Dissertation, die die Grundlage für die später weltweit bekannte „Netztheorie“ bildete. Er förderte damit bahnbrechende Erkenntnisse zutage und gilt seitdem als weltweit anerkannte Größe in der theoretischen Informatik.

In seiner Promotion erfasste er die Verteiltheit von Kommunikationsprozessen in voller Konsequenz und schuf konstruktive Mittel dafür, verteilte Systeme und Prozesse in tiefgehender Präzision zu modellieren. Einen Eindruck von der Bedeutung Petris für die damals sich erst entwickelnde Informatik (bis 1969 gab es noch nicht einmal entsprechende Studiengänge) vermittelt die Tatsache, dass das Feld der so genannten „Petri- Netze“ das einzige Teilgebiet der Informatik ist, welches nach einer Person benannt wurde.

Petri-Netze haben seit ihrer erstmaligen Beschreibung weit über die Informatik hinaus Bedeutung erlangt. So werden sie eingesetzt, um Prozesse aller Art abstrakt darzustellen. Bei solchen Prozessen kann es sich beispielsweise um eine Produktionsstraße, um eine Organisation, ein Protokoll oder eine Steuerung handeln. Bei der Beschreibung dieser Prozesse ist es notwendig, zeitliche und kausale Zusammenabhänge abzubilden. Einige Teile können dabei abhängig oder unabhängig von anderen Teilen sein. Als praktische Anwendungen von Petri-Netzen seien hier beispielsweise die Kontrolle und Steuerung eines Flughafens, von Verkehrsnetzwerken oder Kraftwerken genannt.

Nutzen stiften Petri-Netze vor allem dort, wo ihre Anwendung auf praktische Probleme das Auftreten schwerwiegender Systemfehler verhindert, was insbesondere für komplexe Systeme mit vielen parallelen bzw. „nebenläufigen“ Prozessen gilt, wie es Petri ausdrücken würde. Genauer betrachtet, sind Petri-Netze Modelle für die Zustände eines Systems und der Übergänge zwischen diesen Zuständen. Petri-Netze eignen sich daher auch besonders für die Modellierung verteilter Systeme, welche aus Komponenten bestehen, deren Zustand sich unabhängig weiterentwickelt.

Schließlich bieten sie auch die Möglichkeit der hierarchischen Strukturierung. Größere Petri-Netze können in mehrere Teilnetze untergliedert und hierarchisch verknüpft werden. Dieses Konzept wird gern verwendet, da dies meist die Übersichtlichkeit und Verständlichkeit des Gesamtsystems fördert.

Geboren am 12. Juli 1926 in Leipzig, wuchs Carl Adam Petri in einem naturwissenschaftlich geprägten Elternhaus auf – sein Vater Max Petri war Mathematiker und hatte in Göttingen, Lausanne, Berlin und Leipzig studiert und in Leipzig promoviert. 1936 kam Carl Adam Petri auf die berühmte Thomas-Schule seiner Geburtsstadt, ein Elite-Gymnasium, für das er ein Stipendium erhielt; seinen Eltern wäre es nicht möglich gewesen, die Schulgebühren aufzubringen. Ab 1941 wurde er mit seiner Schulklasse als Flakhelfer bei der Luftabwehr eingesetzt und geriet als gerade einmal 18-jähriger Soldat in britische Kriegsgefangenschaft, die bis 1947 dauerte. Die Hochschulreife erlangte er – nach einem deutschen Notabitur 1944 und einem englischen Abitur während der Kriegsgefangenschaft – im Oktober 1949 und studierte fortan Mathematik an der Technischen Hochschule Hannover.

Das Studium schloss er 1956 mit der Diplomprüfung ab und widmete sich danach seiner bereits erwähnten Promotion, die er 1961 zum Abschluss brachte. Carl Adam Petri hat die Grundlagen seiner Netztheorie nach seiner Dissertation in verschiedenen wissenschaftlichen Abhandlungen (1973, 1976 und 1977) immer wieder erweitert und verfeinert.

In seinem Werk „Concurrency and Continuity“ wandte er sich 1987 schließlich dem Problem der Stetigkeit zu. Grzegorz Rosenberg, Präsident der „European Association of Theoretical Computer Science“, schrieb 1991 anlässlich der Verabschiedung Petris in den Ruhestand anerkennend, dass Petri „mit seiner Lösung von Halbordnungen als grundlegende Strukturen einen ganz neuartigen Zugang zum Phänomen der Stetigkeit eröffnet hat. Der Grundgedanke ist, stetige Prozesse auf kombinatorische Weise darzustellen.“

Seine Schaffenskraft hat Petri als Wissenschaftler und Forscher fast vollständig in den Dienst der damaligen Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung (GMD, heute in die Fraunhofer Gesellschaft integriert) gestellt. Er leitete dort von 1968 bis zu seiner Pensionierung 1991 das „Forschungsinstitut für Informationssysteme“, zu dem er aus einer Position als Direktor des Rechenzentrums an der Universität Bonn wechselte.

Bis 1994 hielt Petri Vorlesungen über „Allgemeine Netztheorie“ an der Universität Hamburg, zu deren Ehrenprofessor er im Jahr 1988 ernannt worden war. Darüber hinaus war er seit 1967 ein gern gesehener Gast auf internationalen Konferenzen und hielt eingeladene Vorträge in den USA, England, Italien und China.

Die Ehrungen Petris sind so zahlreich, dass hier nur auszugsweise darauf eingegangen werden soll: 1962 wurde er für die beste Dissertation von der TU Darmstadt ausgezeichnet, 1988 erhielt er das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse der Bundesrepublik Deutschland und 1993 die Konrad-Zuse-Medaille für besondere Verdienste um die Informatik. 1996 folgte die Auszeichnung mit dem Werner-von- Siemens-Ring.

Carl Adam Petri ist ein bescheidener und toleranter Mensch, der zudem – wie sein Vater – gerne Schach spielt. Hinzu kommt ein ordentliches Maß an Bodenständigkeit, denn er lebt auch 15 Jahre nach seiner Pensionierung nur wenige Kilometer von seinem ehemaligen Arbeitsplatz entfernt – in Sankt Augustin bei Bonn.

Die Aktualität seiner Netztheorie ist auch 40 Jahre nach der ersten Veröffentlichung ungebrochen. Dies dokumentiert nicht zuletzt das Bestehen einer eigenen, sehr lebendigen Fachgruppe mit der Bezeichnung „Petri-Netze und verwandte Systemmodelle“ innerhalb der Gesellschaft für Informatik. Darüber hinaus finden nach wie vor internationale Konferenzen statt, die sich mit dem praktischen Nutzen von Petri-Netzen beschäftigen. Einen schöneren Beweis für die ungebrochene Relevanz seiner Theorie hätte wohl auch Petri selbst nicht finden können.

Petri ist die Entwicklung stets zu langsam gegangen, wie dies der Stiftungsratsvorsitzende Ernst Otto Göbel anlässlich der Verleihung des Siemens-Ringes am 12. Dezember 1997 ausdrückte. Es blieb sein Schicksal, dass man seine Erkenntnisse häufig erst einige Jahre nach ihrer Veröffentlichung anerkannt und umgesetzt hat. Seine Arbeiten sind Wegmarken in der Entwicklung der Informatik.

Kurzbiographie

1951-1957 Studium der Mathematik und Physik an der Technischen Hochschule Hannover, Studienabschluss als Diplom-Mathematiker 1957.

1957-1964 wissenschaftlicher Assistent am Mathematischen Institut der TH Hannover, am Institut für Regelungstechnik der TH Darmstadt und am Mathematischen Institut der Universität Bonn.

1962 Promotion an der Universität Bonn, Titel „Kommunikation mit Automaten“.

1965-1968 Kustos mit der Aufgabe des Aufbaus und Betriebs des Rechenzentrums der Universität Bonn und des ISF (Institut für Informations-System-Forschung), ab 1968 Leiter des ISF (eingegliedert in die GMD, Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung, Birlinghoven bei Bonn).