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Forschung & Wirkung: Materialinformatik

Materialdesign mit computergestützten Methoden

Die Materialinformatik ist eine junge, interdisziplinäre Forschungsrichtung, die großes Potenzial hat, globale Herausforderungen wie die Energie- und Ressourcenkrise zu bewältigen. Denn: Neue Materialien spielen eine Schlüsselrolle in der Entwicklung nachhaltiger Technologien, etwa bei Batterien, Solarzellen oder Wasserstoffspeichern. Computergestützte Methoden können hier dazu beitragen, Alternativen zu kritischen Rohstoffen wesentlich schneller und zielgerichteter zu finden, Recyclingprozesse zu verbessern und geopolitische Abhängigkeiten zu verringern.

Ein Beispiel für exzellente Forschung in diesem Bereich liefert Prof. Dr. Janine George, 2023 ausgezeichnet als Werner-von-Siemens-Fellow. Sie leitet die Nachwuchsgruppe „computergestütztes Materialdesign“ an der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) und ist Professorin für Materialinformatik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Ihre Forschung nutzt künstliche Intelligenz und quantenmechanische Methoden, um die Entwicklung neuer Materialien zu beschleunigen – insbesondere mit Einsatzmöglichkeiten für die Energiewende.

Portraitfoto von Janine George vor grau-blauer Wand
Bild: BAM

„Die Materialinformatik ist auf dem Weg, die Materialentwicklung zu revolutionieren, und die Antworten für drängende Fragen rund um Energiewende, Transport und Nachhaltigkeit zu finden.“

Janine George, Werner-von-Siemens-Fellow 2023

Zentral für diesen Ansatz ist es, Materialdaten zur beschleunigten Vorhersage von Materialeigenschaften zu verwenden. Janine George entwickelt zudem auf Basis dieser Daten maschinelle Lernmodelle, die chemische Regeln überprüfen und neue ableiten. Ziel ist es, bessere Materialien schneller und gezielter zu identifizieren.

Die Materialinformatik reduziert auf diese Weise die Zahl notwendiger Experimente und verkürzt den Weg zur Marktreife. Herausforderungen bestehen allerdings in der begrenzten Verfügbarkeit gut dokumentierter, wiederverwendbarer experimenteller Daten. Deshalb werden Materialdaten oft mit Hilfe von Quantenmechanik berechnet, d.h. mit Hilfe von Superrechnern generiert. Ein zentrales Werkzeug der Materialinformatik ist die daher die Dichtefunktionaltheorie (DFT), die es erlaubt, Vorhersagen zu den Eigenschaften am Computer erstellen Materialien mit großer Zuverlässigkeit zu treffen.

Ein Schwerpunkt in Janine Georges Forschung liegt im tieferen Verständnis chemischer Bindungen in Materialien. Dazu nutzt sie Methoden wie die Crystal-Orbital-Hamilton-Populationsanalyse , die die Analyse chemischer Bindungen in Festkörpern erlaubt. George hat mit ihrem Team zudem Tools zur Automatisierung dieser Analysen entwickelt – z. B. das Open-Source-Programm LobsterPy, das in größere Workflows mit anderen Programmen eingebunden ist. Eine große Datenbank mit über 1500 Materialien dient der systematischen Erforschung des Zusammenhangs zwischen Bindungs- und Materialeigenschaften. Dabei werden Methoden des maschinellen Lernens eingesetzt. Hierbei konnte bereits eine Korrelation zwischen Bindungsstärke und der Breite der Schwingungszustandsdichte identifiziert werden.[1] Solche Schwingungseigenschaften sind unter anderem für die thermische Stabilität und den Wärmetransport in Werkstoffen relevant. Weitere Zusammenhänge zwischen chemischer Bindung und Materialeigenschaften, die die beschleunigte Vorhersage von Materialeigenschaften versprechen, werden aktuell untersucht.

Darüber hinaus nutzt George maschinell gelernte interatomare Potentiale (MLIPs) in ihrer Forschung. Diese speziellen maschinen-gelernten Modelle erlauben es, viele verschiedene Materialeigenschaften (unter anderem neben Schwingungseigenschaften auch elastische Eigenschaften, das Reaktionsverhalten von Materialien und vieles mehr) deutlich schneller als mit der Quantenmechanik, aber ähnlich genau vorherzusagen. In den letzten Jahren sind auch sogenannte Foundation Models in diesem Bereich entwickelt worden, die solche Vorhersagen zusätzlich beschleunigen, weil sie ohne weiteres Training und damit ohne weitere Datengenerierung direkt einsatzfähig sind und qualitativ richtige Ergebnisse liefern.[2] George entwickelt hier gemeinsam mit ihrer Gruppe Methoden, um diese maschinell gelernten interatomaren Potentiale automatisch zu trainieren und zu benchmarken und die Foundation Models zu feintunen.[3] Diese Feinabstimmung kann mit wenigen neuen Trainingsdaten und damit günstiger als bei einem komplett neuen Trainingsprozess die Vorhersage der Foundation Models verbessern.
Die Forschung von Janine George zeigt eindrucksvoll, wie datengetriebene und KI-gestützte Ansätze die Materialentwicklung beschleunigen und nachhaltige Innovationen datenbasiert, effizient und zukunftsorientiert ermöglichen.


[1] A. A. Naik, C. Ertural, N. Dhamrait, P. Benner, J. George, Sci Data 2023, 10, 610.
[2] I. Batatia, P. Benner, Y. Chiang, A. M. Elena, D. P. Kovács, J. Riebesell, X. R. Advincula, M. Asta, M. Avaylon, W. J. Baldwin, F. Berger, N. Bernstein, A. Bhowmik, S. M. Blau, V. Cărare, J. P. Darby, S. De, F. D. Pia, V. L. Deringer, R. Elijošius, Z. El-Machachi, F. Falcioni, E. Fako, A. C. Ferrari, A. Genreith-Schriever, J. George, R. E. A. Goodall, C. P. Grey, P. Grigorev, S. Han, W. Handley, H. H. Heenen, K. Hermansson, C. Holm, J. Jaafar, S. Hofmann, K. S. Jakob, H. Jung, V. Kapil, A. D. Kaplan, N. Karimitari, J. R. Kermode, N. Kroupa, J. Kullgren, M. C. Kuner, D. Kuryla, G. Liepuoniute, J. T. Margraf, I.-B. Magdău, A. Michaelides, J. H. Moore, A. A. Naik, S. P. Niblett, S. W. Norwood, N. O’Neill, C. Ortner, K. A. Persson, K. Reuter, A. S. Rosen, L. L. Schaaf, C. Schran, B. X. Shi, E. Sivonxay, T. K. Stenczel, V. Svahn, C. Sutton, T. D. Swinburne, J. Tilly, C. van der Oord, E. Varga-Umbrich, T. Vegge, M. Vondrák, Y. Wang, W. C. Witt, F. Zills, G. Csányi, 2024, DOI 10.48550/arXiv.2401.00096.
[3] Y. Liu, J. D. Morrow, C. Ertural, N. L. Fragapane, J. L. A. Gardner, A. A. Naik, Y. Zhou, J. George, V. L. Deringer, 2024, DOI 10.48550/arXiv.2412.16736.