Foto der Podiumsdiskussion "Was braucht das deutsche Innovationssystem?" am 30.09.2025 der Stiftung Werner-von-Siemens-Ring

Was braucht das deutsche Innovationssystem?

Wie bleibt Deutschland im globalen Innovationswettbewerb zukunftsfähig? Diese Frage stand im Zentrum des Podiums „Was braucht das deutsche Innovationssystem?“, das führende Köpfe aus Wissenschaft, Wirtschaft und Technologie beim Podium der Stiftung Werner-von-Siemens-Ring zusammenbrachte.

Das Podium machte deutlich: Das deutsche Innovationssystem verfügt über enorme Stärken – exzellente Forschungseinrichtungen, traditionsreiche Industrieunternehmen und global führende Technologieanbieter. Doch die Zukunftsfähigkeit wird davon abhängen, wie gut es gelingt, diese Potenziale in einem gemeinsamen Innovationsökosystem zu bündeln. Und: Innovationskraft entsteht nicht allein durch exzellente Forschung – sie braucht vernetzte Strukturen, mutige Investitionen und eine Kultur, die Offenheit für Neues fördert.

Podiumsdiskussion über Stärken, Schwächen und die Zukunftsfähigkeit Deutschlands

„Deutschland, das Land der Ideen“ – mit diesem Slogan wollte die Bundesregierung vor zwanzig Jahren ein Signal setzen. Doch reicht es, ein Land der Ideen zu sein, oder müssen wir uns als Land der Umsetzung verstehen? Mit dieser zugespitzten Frage eröffnete Moderator Mike Neitz die Podiumsdiskussion „Was braucht das deutsche Innovationssystem?“, die hochrangige Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft, Wirtschaft und Industrie in der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Berlin zusammenbrachte.

Tradition und Anspruch: Innovation als Auftrag

Schon Gastgeber Prof. Dr. Peter Krüger erinnerte an die lange Tradition der PTB, die einst als „Reichsanstalt“ gegründet wurde, um Wissenschaft und Industrie zusammenzuführen: „Der Gedanke, dass Wissenschaft und Industrie zusammenkommen, um Innovation in die Gesellschaft zu tragen, war vor 150 Jahren genauso wichtig wie heute.“

Auch Prof. Oliver Günther, Ph.D., Präsident der Universität Potsdam und Vorstand des Stiftungsrats, knüpfte daran an. Für ihn ist klar: Ohne den Abbau bürokratischer Hürden droht Deutschland seine Innovationskraft zu verspielen. Er verwies auf überlange Genehmigungsprozesse und sprach von einer „kulturellen Überbürokratisierung“, die kreative Dynamik lähme.

Bürokratie als Innovationsbremse

Das Thema Bürokratie durchzog den gesamten Nachmittag wie ein roter Faden. Der Tunnelbauunternehmer und Werner-von-Siemens-Ring-Träger Dr.-Ing. E.h. Martin Herrenknecht brachte es drastisch auf den Punkt:
„Das größte Hemmnis, das wir haben, ist die Bürokratie. Start-ups sollten zwei Jahre lang keinen einzigen Zettel ausfüllen müssen – erst dann sehen wir, ob sie laufen.“

Sein Plädoyer: junge Ingenieurinnen und Ingenieure müssten mehr Freiraum bekommen, statt durch Vorschriften und Formulare ausgebremst zu werden. Herrenknecht erinnerte an eigene Erfahrungen: „Wir haben für ein Logistikzentrum dreieinhalb Jahre gebraucht, bis alle Genehmigungen durch waren. In Indien dauert das ein halbes Jahr.“

Auch aus dem Publikum kamen scharfe Worte: Bürokratische Hürden wie Umweltverträglichkeitsprüfungen oder Naturschutzauflagen würden regelmäßig Großprojekte verzögern oder verhindern. „Es gibt tausende solcher Beispiele – und am Ende profitieren weder Umwelt noch Gesellschaft“, hieß es von einem Diskutanten.

Unternehmertum und Risikobereitschaft

Neben der Bürokratie stand die Mentalität im Fokus. Prof. Dr. Otmar Wiestler, Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft, warb dafür, die Gründungskultur zu stärken: „Viele Gründer in Deutschland sind schon zwischen 40 und 50 – viel zu spät. Wir müssen junge Leute viel früher ermutigen, Risiken einzugehen und eigene Unternehmen zu starten.“

Während in den USA und Israel Scheitern als notwendiger Teil des Lernprozesses gesehen werde, stigmatisiere man in Deutschland gescheiterte Gründer noch immer. „Diesen kulturellen Unterschied müssen wir überwinden“, forderte Wiestler. Auch Herrenknecht berichtete, wie er selbst mehrfach knapp vor der Pleite stand: „Wenn du eigenes Geld verlierst, kämpfst du ganz anders. Diese Kultur müssen wir auch hier verankern.“

Innovation im Spannungsfeld von Forschung und Praxis

Die Stimmen aus der Industrie zeigten, wie wichtig der Transfer aus der Spitzenforschung in die Anwendung ist. Prof. Dr.-Ing. Yvonne Späck-Leigsnering, Werner-von-Siemens-Fellow und Professorin an der TU Darmstadt, berichtete aus ihrer Doppelrolle bei Bosch und in der Forschung: „Ich hatte die Freiheit, eine neue Modellierungstechnik direkt in ein Projekt einzubringen. Innerhalb weniger Wochen konnten wir konkrete Antworten für die Fertigung liefern. Das zeigt, wie wichtig flexible Kooperationen sind.“ Doch sie machte auch auf ganz praktische Hemmnisse aufmerksam: fehlende Kita-Plätze, hohe Lebenshaltungskosten oder unzuverlässige Bahnverbindungen erschwerten es, Fachkräfte für Forschungsstandorte zu gewinnen. „Das sind die echten Showstopper“, so Späck-Leigsnering.

Internationale Perspektive und Talente

Ein weiterer Schwerpunkt lag auf der Internationalisierung. Wiestler warnte:„Die größten Talente sind über Jahrzehnte automatisch in die USA gegangen. Wenn wir jetzt klug handeln, können wir sie nach Deutschland holen. Aber dafür brauchen wir endlich eine echte Willkommenskultur.“ Visumsverfahren, Sprachhürden und mangelnde Integration von Familien seien heute noch erhebliche Barrieren. Dabei sei klar: „Innovation lebt von internationaler Vielfalt und Zusammenarbeit.“

Schlüsseltechnologien als Zukunftstreiber

Mit einem Impuls zur Halbleitertechnologie stellte Dr. Peter Kürz von ZEISS SMT, Werner-von-Siemens-Ring-Träger 2024, die Bedeutung von EUV-Lithographie heraus – einem Verfahren, das moderne Mikrochip-Produktion überhaupt erst möglich macht. Er zeigte anschaulich, wie sich die Zahl der Transistoren auf einem Chip in wenigen Jahrzehnten von Hunderten auf Milliarden gesteigert hat: „2019 war ein Meilenstein – erstmals kam ein Smartphone mit Chips aus EUV-Lithographie auf den Markt. Ohne solche Schlüsseltechnologien wird es keine künstliche Intelligenz, kein autonomes Fahren und keine Digitalisierung geben.“

Kürz’ Beitrag machte klar: Innovation ist kein Selbstzweck, sondern Grundlage globaler Wettbewerbsfähigkeit.

Universitäten, Start-ups und Konzerne – ein deutsches Modell?

In der Diskussion wurde immer wieder betont, dass Deutschland zwar starke Universitäten und einen leistungsfähigen Mittelstand hat, es aber an Brücken zwischen beiden hapert. Wiestler formulierte es so: „Wir haben exzellente Forschung und starke Unternehmen. Wenn wir diese beiden Seiten konsequenter zusammenbringen, entsteht ein echtes deutsches Innovationsmodell.“

Auch die Rolle von Start-ups wurde beleuchtet. Doch während einige eine obligatorische Gründungsausbildung in Ingenieurstudiengängen forderten, hielten andere dagegen, dass nicht jeder zum Gründer geboren sei. Späck-Leigsnering betonte: „Ich hatte nie das Gründungs-Gen – aber in Konzernen wie Bosch konnte ich meine Stärken entfalten.

Fazit: Mut, Tempo und Zusammenarbeit

Am Ende der Diskussion stand Einigkeit in der Diagnose: Deutschland verfügt über große Stärken, doch es fehlt oft an Tempo, Risikobereitschaft und Mut zur Umsetzung. Bürokratie, Mentalitätsfragen und mangelnde Internationalität bremsen die Dynamik.

„Das Land mit der besten Infrastruktur hat die beste Zukunft“, resümierte Herrenknecht. Die Podiumsdiskussion machte deutlich: Ein modernes Innovationssystem braucht mehr als Patente und Forschungsprogramme. Es braucht eine Kultur des Vertrauens, Raum für Experimente – und den politischen Willen, Hürden abzubauen. Nur so kann Deutschland vom „Land der Ideen“ zum „Land der Umsetzung“ werden.

Aufzeichnung des Livestreams

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Mehr Informationen

Folgende Persönlichkeiten diskutierten

  • Prof. Oliver Günther, Ph.D., Präsident der Universität Potsdam und Vorstand des Stiftungsrats
  • Prof. Dr. Peter Krüger, Fachbereichsleiter an der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB), Berlin
  • Dr.-Ing. E.h. Martin Herrenknecht, Gründer und Vorstandsvorsitzender der Herrenknecht AG, Werner-von-Siemens-Ring-Preisträger 2015
  • Dr. Peter Kürz, ZEISS SMT, Werner-von-Siemens-Ring-Preisträger 2024
  • Prof. Dr. Claudia Lehmann, HHL Leipzig Graduate School of Management, Geschäftsführerin des Center for Leading Innovation and Cooperation (CLIC)
  • Prof. Dr.-Ing. Daniel Leidner, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Werner-von-Siemens-Fellow 2022
  • Dr.-Ing. Katharina Schäfer, Global Head of University Alliances bei SAP
  • Prof. Dr.-Ing. Yvonne Späck-Leigsnering, Robert Bosch GmbH & TU Darmstadt, Werner-von-Siemens-Fellow 2023
  • Prof. Dr. Otmar Wiestler, Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft