Oberkörperfoto von Florian Schiegg vor einem Computerbildschirm.

Forschung & Wirkung: Kooperative intelligente Transportsysteme

Fahrzeuge, die mit ihrer Umwelt kommunizieren

Fahrzeuge werden mit immer mehr Sensorik ausgestattet, Assistenzsysteme übernehmen erste Fahrfunktionen und der Austausch von Daten bildet die Grundlage für automatisiertes und vernetztes Fahren. Ein entscheidender Innovationsbaustein ist die Kommunikation zwischen Fahrzeugen und ihrer Umgebung. Sie eröffnet neue Potenziale für Sicherheit, Effizienz und Komfort im Straßenverkehr. Der Werner-von-Siemens-Fellow Florian Schiegg hat sich mit seinen Forschungsschwerpunkten maßgeblich in europäische Standards eingebracht. Seine Expertise in verteilten Systemen bringt er nicht nur in der Forschung bei der Robert Bosch GmbH ein, sondern auch in seinen Start-ups: Die Paltech GmbH unterstützt Landwirte mit KI-basierten Robotern dabei, Unkraut umweltfreundlich zu bekämpfen – ein Beitrag zu gesünderer Nahrung durch weniger Chemikalien. Die Covadonga GmbH entwickelt ein innovatives, vom globalen Satellitennavigationssystem GNSS unabhängiges landgestütztes Ortungs- und Identifizierungssystem für Schiffe und trägt damit zu einer besseren maritimen Sicherheit bei.

Mit weltweit rund 1,3 Milliarden zugelassenen Fahrzeugen steigt der Bedarf an intelligenten Lösungen im Straßenverkehr rapide. Eine Schlüsseltechnologie ist Vehicle-to-Everything (V2X) – also die Kommunikation zwischen Fahrzeugen und ihrer Umgebung. V2X ermöglicht es, dass Fahrzeuge Informationen in Echtzeit untereinander, mit der Infrastruktur sowie mit anderen Verkehrsteilnehmenden austauschen. Dadurch lassen sich nicht nur der Verkehrsfluss optimieren, sondern auch gefährliche Situationen frühzeitig erkennen und vermeiden. Diese Technologie bildet das Fundament für Kooperative Intelligente Transportsysteme (Cooperative Intelligent Transport Systems, C-ITS). Sie schafft die Voraussetzung für ein vernetztes, koordiniertes und sicheres Verkehrsgeschehen – etwa, indem sie frühzeitig vor Gefahrenstellen warnt oder komplexe Fahrmanöver wie das kooperative Linksabbiegen abstimmt.

Portraitfoto von Florian Schiegg
Bild: privat

„Kollektive Wahrnehmung mittels V2X-Kommunikation erlaubt uns, die Umgebung durch die Augen von anderen zu sehen.“

Florian Schiegg, Werner-von-Siemens-Fellow 2023

Die technologische Basis: Kommunikationsarten und V2X-Dienste

Die Fahrzeug-zu-alles-Kommunikation (V2X) basiert auf zwei zentralen Arten der Datenübertragung: der direkten und der indirekten Kommunikation. Bei der direkten Kommunikation werden Informationen unmittelbar zwischen Fahrzeugen oder zwischen Fahrzeugen und Infrastruktur ausgetauscht – typischerweise über ITS-G5 oder LTE-V2X. Indirekte Kommunikation hingegen erfolgt über Mobilfunknetze wie 4G oder 5G, oft kommen zusätzlich Cloud- oder Backend-Dienste zum Einsatz. Ergänzend gewinnen auch nicht-terrestrische Netze (NTN), etwa über Satellit, an Bedeutung, um Konnektivität selbst in abgelegenen Regionen sicherzustellen. Über diese Kommunikationswege werden verschiedene V2X-Dienste bereitgestellt. Dazu zählen beispielsweise Warnungen vor Gefahren wie etwa bei Unfällen, Baustellen oder eingeschränkter Sicht, die über sogenannte Decentralized Environmental Notification Messages (DENM) übermittelt werden. Auch komplexe Fahrsituationen wie kooperatives Einfädeln oder Linksabbiegen lassen sich über die Manöverkoordination besser abstimmen. Mithilfe des Collective Perception Service (CPS) können darüber hinaus Sensordaten von Fahrzeugen und Infrastruktur – etwa Kameras oder Radar – geteilt werden, um die Umgebung gemeinsam präziser wahrzunehmen. So entsteht ein umfassenderes, kooperativ erzeugtes Lagebild im Straßenverkehr.

Die Herausforderung: Begrenzte Kommunikationsressourcen

Das verfügbare Funkspektrum für kooperative Verkehrsanwendungen ist begrenzt. Mit der wachsenden Anzahl vernetzter Fahrzeuge und Dienste wird es immer wichtiger, Informationen gezielt und effizient zu priorisieren. Florian Schiegg hat dazu dezentrale Mechanismen entwickelt, die auf dem sogenannten Value of Information (VoI) basieren. Diese bewerten, wie relevant eine Information in einer konkreten Situation ist und steuern entsprechend die Übertragung. Dadurch wird sichergestellt, dass sicherheitskritische Daten zuverlässig und schnell verteilt werden. Seine Ansätze haben wesentlich zur europäischen Standardisierung beigetragen, insbesondere im Bereich der kollektiven Wahrnehmung, und stärken die praktische Anwendbarkeit von V2X-Systemen.

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Eine Frage der Gewichtung: Wie relevant ist eine Information?

Mit zunehmender Vernetzung stellt sich die Frage, welche Informationen wie priorisiert übertragen werden. Denn: Bandbreite ist begrenzt, besonders bei sicherheitskritischen Anwendungen zählt jede Millisekunde. Hier kommt das Konzept des Informationswerts (Value of Information, VoI) ins Spiel. Dieser Wert beschreibt, wie relevant oder nützlich eine Information in einem bestimmten Kontext ist. Daten mit hohem VoI – beispielsweise ein plötzlich auftauchender Fußgänger – erhalten eine höhere Priorität bei der Übertragung. So wird sichergestellt, dass kritische Informationen schneller und zuverlässiger weitergegeben werden.

Ein Beispiel: Ein Rettungswagen nähert sich mit Blaulicht einer Kreuzung. Gleichzeitig erkennt die Infrastruktur eine querende Radfahrerin im toten Winkel, während ein anderes Fahrzeug meldet, dass es an einer roten Ampel steht. Um den Funkkanal effizient zu nutzen, bewertet das System den Informationswert (VoI): Die Warnung vor der Radfahrerin und das nahende Einsatzfahrzeug werden priorisiert übertragen – beispielsweise per ITS-G5. Die Information zum wartenden Fahrzeug folgt mit geringerer Priorität.

Unternehmertum aus Überzeugung: Intelligente verteilte Systeme für gesellschaftliche Herausforderungen

Florian Schiegg ist durch den Biomilchviehbetrieb seiner Familie im Allgäu eng mit der Landwirtschaft verbunden – und weiß um deren Herausforderungen vor Ort, wie das weitverbreitete Unkraut Ampfer. Mittlerweile verbindet Schiegg die beiden Bereiche V2X-Kommunikation und Landwirtschaft über seine selbst mit einem Partner gegründete Firma Paltech: Sie entwickelt Roboter, die eigenständig über die Wiesen fahren, KI-basiert das Unkraut erkennen, entfernen und anschließend Gras nachsäen.

Bereits während der Promotion und unterstützt durch das Einverständnis der Robert Bosch GmbH mit unternehmerischen Aktivitäten parallel zur Forschungstätigkeit gründete Florian Schiegg zwei Hightech-Start-ups, die intelligente verteilte Systeme für gesellschaftlich relevante Anwendungen nutzbar machen: Paltech und Covadonga.

Die Paltech GmbH entwickelt autonome, KI-basierte Roboter zur nachhaltigen Unkrautbekämpfung auf Grünlandflächen. Die Geräte operieren im Schwarm, erkennen unerwünschte Pflanzen wie Ampfer, entfernen diese präzise und säen direkt nach – ganz ohne chemische Mittel. So entsteht ein System, das flächenschonend, effizient und umweltfreundlich arbeitet.
Die Covadonga GmbH entwickelt ein landgestütztes, GNSS-unabhängiges Ortungs- und Identifikationssystem für die Schifffahrt. Grundlage ist ein verteiltes Sensornetzwerk, das Schiffsdaten passiv erfasst, fusioniert und in Echtzeit bereitstellt – etwa für das Verkehrsmanagement, um Kollisionen zu vermeiden, Naturschutzgebiete und maritime Infrastruktur zu schützen sowie als Basis für autonome Navigation und Teleoperation.