Stiftung Werner-von-Siemens-Ring | Jungwissenschaftler:innen 2022

Jungwissenschaftler:innen 2022

Reinhard Heckel

Die Auszeichnung von Reinhard Heckel erfolgt für seine wissenschaftlichen Arbeiten zu bildgebenden Verfahren zur Verbesserung der Bildqualität und für seine Algorithmen für Datenspeicherung in DNA.

zu Reinhard Heckel

Reinhard Heckel ist Rudolf-Mößbauer-Professor an der Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik der Technischen Universität München und außerordentlicher Professor an der Rice University, wo er von 2017 bis 2019 als Assistenzprofessor im Department Electrical and Computer Engineering (ECE) tätig war. Davor war er eineinhalb Jahre als Postdoktorand am Department of Electrical Engineering and Computer Sciences der University of California, Berkeley, und ein Jahr in der Abteilung Cognitive Computing & Computational Sciences bei IBM Research Zürich tätig. Er promovierte 2014 in Elektrotechnik an der ETH Zürich und war Gastdoktorand am Statistik Department der Stanford University.

Reinhard Heckel arbeitet an der Schnittstelle von maschinellem Lernen und Signal- und Informationsverarbeitung. Seine Schwerpunkte liegen aktuell auf tiefen Netzwerken zur Lösung inverser Probleme, Lernen von wenigen und verrauschten Daten und DNA-Datenspeicherung.

Datengetriebenes Design von Algorithmen

In den letzten zehn Jahren wurden bemerkenswerte Fortschritte bei bildgebenden Systemen mit Neuronalen Netzen erzielt. Diese neuronalen Netze werden trainiert um ein Bild aus Messungen zu rekonstruieren. Die neueste Generation medizinischer Bildgebungstechnologien erzeugt mit solchen neuronalen Netzen Bilder mit geringerer Scanzeit und höherer Qualität als konventionelle Verfahren das ermöglichen.

Die daraus resultierenden Systeme sind jedoch sehr trainingsdatenintensiv und nicht gut verstanden. Zudem funktionieren die resultierenden Systeme oft nur auf Daten die sehr ähnlich sind zu den Trainingsdaten, und die System können sehr anfällig sein für leichte Störungen in den Messungen. Die Forschung von Reinhard Heckel befasst sich mit diesen Problemen. Er entwickelt auf neuronalen Netzen basierende Bildgebungsalgorithmen, die mit weniger Daten arbeiten und robust sind.

Aufgrund ihrer Langlebigkeit und der enormen Informationsdichte ist die DNA ein attraktives Speichermedium. Die bestehenden Technologien zum Lesen und Schreiben von DNA erfordern jedoch, dass die Daten auf vielen kurzen Sequenzen gespeichert werden. Zudem entstehen viele Fehler beim Schreiben, Speichern, und Lesen der DNA. Reinhard Heckel und sein Team haben das erste robuste DNA-Speichersystem gebaut, das eine zuverlässige Speicherung von Daten auf DNA ermöglicht, und kodierungs- und informationstheoretische Grundlagen für zukünftige DNA-Speichersysteme entwickelt. Das ist ein zukunftsweisender Schritt für die kompakte Datenspeicherung.

Olga Kasian

Die Auszeichnung von Olga Kasian erfolgt in Anerkennung ihrer herausragenden Arbeiten zur Elektrolyse für die Wasserstoffherstellung aus erneuerbaren Energien.

zu Olga Kasian

Olga Kasian promovierte 2013 in Elektrochemie an der Ukrainischen Staatlichen Universität für Chemische Technologie. Danach arbeitete sie als Postdoc an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg. 2015 erhielt sie ein Stipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung und wechselte an das Max-Planck-Institut für Eisenforschung in Düsseldorf. Seit 2019 leitet Olga Kasian die Helmholtz-Nachwuchsgruppe am Helmholtz-Zentrum Berlin (HZB), die sich mit dynamischen Veränderungen in Materialien während elektrokatalytischer Reaktionen beschäftigt. Seit 2021 ist sie Professorin für Materialien zur elektrochemischen Energieumwandlung an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

Die Forschung von Olga Kasian zielt darauf ab, ein modellhaftes Verständnis chemischer Prozesse von komplexen elektrochemischen Grenzflächen zu erlangen. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Elektrokatalyse für Energiespeicherung und -umwandlung, mit dem Ziel, Stabilitätsbeschränkungen von Katalysatormaterialien zu überwinden.

Elektrolyse für die Wasserstoffherstellung aus erneuerbaren Energien

In naher Zukunft wird erwartet, dass erneuerbare Energiequellen einen wichtigen Teil zur Stromerzeugung beitragen werden. Da erneuerbare Energien, beispielsweise Wind- und Solarenergie, von Natur aus zeitweiligen Unterbrechungen unterliegen, wird ihre verstärkte Nutzung zu einer schwankenden Stromerzeugung führen. Dies erfordert umweltfreundliche Stromspeichertechnologien auf der Grundlage von chemischen Prozessen.

Mit Elektrizität aus erneuerbaren Quellen kann Wasser durch Elektrolyse in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt werden. “Grüner“ Wasserstoff als Energiespeicher hat ein hohes Potenzial, zur Kerntechnologie in einem kohlenstofffreien globalen Energiesektor zu werden. Damit ermöglicht er die Transformation unseres Energiesystems in vielen Sektoren, von der Energieerzeugung, -speicherung und -verteilung bis hin zu den Endanwendungen in Verkehr, Industrie und Heizung. Zur Beschleunigung der Wasserstoffproduktion aus Wasser werden Elektrokatalysatormaterialien eingesetzt.

Die Leistung solcher Materialien wird durch den Zustand der Oberflächenatome bestimmt. Mit der Zeit unterliegen die Oberflächenatome Veränderungen. Sie können vergiftet oder oxidiert werden oder sogar die Verbindung zu den darunterliegenden Schichten verlieren und sich auflösen, was zu einem Wirkungsgradverlust und zur Degradation eines Elektrolyseurs führt. Die Erforschung der Mechanismen, die diesen entscheidenden Umwandlungen zugrunde liegen, ist eine große Herausforderung, vor allem wegen der technischen Einschränkungen der derzeit in der Elektrochemie verfügbaren Methoden zur Oberflächenanalyse.

Olga Kasian hat die chemische Natur der Oberflächenatome, die die Effizienz von Elektrokatalysatoren bestimmen, erforscht. Sie hat gezeigt, wie diese beeinflusst werden können, um die Wasserspaltung zu beschleunigen. Dies wird durch einen einzigartigen multidisziplinären Ansatz zum Verständnis der Stabilität und Reaktivität einzelner Atome erreicht. Bei diesem Ansatz werden Katalysatoren oder Reaktanten „markiert“, indem bestimmte Atome durch ihre Isotope ersetzt werden. Die Isotope können dann in den Zielprodukten oder als Zwischenprodukte des Abbaus nachgewiesen werden und geben Einblicke in die Reaktionen auf molekularer Ebene.

Ergänzende Informationen zur Stabilität von Katalysatoren auf der Ebene einzelner Atome werden dann durch die Atomsondentomographie gewonnen. Diese ist in der Lage ein Material auf atomarer Ebene bildlich darzustellen. Die Kopplung der elektrochemischen Techniken und der Tomographie verbessert das Verständnis der komplexen Zusammenhänge zwischen Oberflächenstruktur, -zustand und -funktion in der Elektrokatalyse. Dadurch können die Wasserspaltung und die nachhaltige Energiespeicherung in Zukunft effizienter gestaltet werden.

Olga Kasians Forschungsarbeiten zeigen die wesentlichen strukturellen Merkmale der katalytischen Oberflächen auf, die für die Leistungsverschlechterung verantwortlich sind. Sie weisen so neue Strategien zur Verbesserung der Stabilität von Katalysatormaterialien auf. Das ist ein weiterer Schritt in Richtung einer nachhaltigen Wasserstoffwirtschaft.

Steven King

Die Auszeichnung von Steven King erfolgt in Anerkennung seiner herausragenden Arbeiten zur kohärenten Spektroskopie von hochgeladenen Ionen und deren Entwicklung zu optischen Uhren.

zu Steven King

Steven King erwarb seinen Master of Science 2008 an der Universität Durham. Nach seinem Abschluss schloss er sich der Arbeitsgruppe um Professor Patrick Gill am National Physical Laboratory (NPL) in Großbritannien an. Hier arbeitete er an der Entwicklung einer optischen Atomuhr auf der Grundlage von gefangenen Ytterbium-Ionen. Für seine Arbeit wurde ihm 2013 sein Doktortitel von der Universität Oxford verliehen. Anschließend trat er der NPL-Gruppe als Forscher bei.

Seit 2016 arbeitet Steven King mit Professor Piet Schmidt am QUEST-Institut der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig. Hier leitete er die erfolgreiche Entwicklung der ersten optischen Atomuhr auf Basis kalter hochgeladener Ionen. Seit Anfang 2022 ist er Senior Quantum Scientist bei Oxford Ionics mit dem Ziel, einen praktischen und skalierbaren Quantencomputer mit gespeicherten Ionen zu realisieren.

Neuartige Atomuhren

Optische Atomuhren sind die genauesten Geräte, die jemals gebaut wurden. Ihre Anwendungen gehen über die Zeitmessung hinaus und reichen von der Präzisionsnavigation, über Geodäsie und bis zur Prüfung fundamentalen Physik mit immer höherer Präzision.

Hochgeladene Ionen („Highly Charged Ions“ oder „HCI“) werden seit langem als Kandidaten für die nächste Generation ultrapräziser Uhren gehandelt. Aufgrund ihrer atomaren Struktur sind sie wesentlich unempfindlicher gegenüber wichtigen systematischen Frequenzverschiebungen, die andere Systeme begrenzen. Andererseits ermöglicht ihre einfache atomare Struktur verbesserte Präzisionstests theoretischer Berechnungen atomarer Eigenschaften. Weiterhin sind HCI besonders empfindlich für bestimmte Suchen nach neuer Physik.

Steven King erzielte mit seiner Arbeit die zentralen technologischen Durchbrüche, wie die aktive Kühlung von HCI und den Einsatz von Quantenlogikspektroskopie, die die Realisierung der weltweit ersten HCI-basierten Atomuhr ermöglichten. Diese Fortschritte verbessern die spektroskopische Auflösung um acht Größenordnungen gegenüber dem bisherigen Stand der Technik. Außerdem erschließen sie den Einsatz von HCI für Quanteninformationsverarbeitung und Tests der fundamentalen Physik bei niedrigen Energien.

Daniel Leidner

Die Auszeichnung von Daniel Leidner erfolgt in Anerkennung seiner herausragenden Arbeit zu KI-gestützter Telerobotik und deren Anwendung in der Raumfahrt, der Pflegeassistenz und der Pandemiebekämpfung.

zu Daniel Leidner

Daniel Leidner leitet die Gruppe für fehlertolerante Autonomiearchitekturen am Institut für Robotik und Mechatronik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Hier ist auch seine Nachwuchsgruppe für fehler- und unsicherheitstoleranten universellen Roboterbetrieb (FUTURO) angesiedelt. Seit 2016 ist er Koordinator des Rollin‘ Justin-Teams. Er promovierte 2017 an der Universität Bremen, wo er mit dem Helmholtz-Doktorandenpreis im Forschungsbereich Raumfahrt und dem Georges-Giralt-PhD-Award für die beste europäische Doktorarbeit in der Robotik ausgezeichnet wurde. 2019 wurde er zum „MIT Technology Review Innovator Under 35“ ernannt. Es folgten 2020 die Ernennung als „Business Punk Top 10 in Tech & Engineering“ und als „Falling Walls Emerging Talent“.

Zu Daniel Leidners Forschungsinteressen gehören semantische Zustandsinferenz, ausfallsichere kognitive Architekturen und Fehlerbehandlung in der Robotermanipulation. Damit folgt er seiner Vision, dass Roboter in Zukunft nicht mehr nur Werkzeuge, sondern vielmehr intelligente Kollegen für die Raumfahrt und Gesellschaft sein werden.

Widerstandsfähige Roboter für eine widerstandsfähige Gesellschaft

Die Arbeit von Daniel Leidner beschäftigt sich mit der Frage, wie Roboter in Zukunft noch autonomer werden können, um den Menschen in verschiedenen Anwendungsbereichen zu unterstützen. Zwei Aspekte sind dabei entscheidend. Erstens muss ein wirklich autonomer Roboter in der Lage sein, sich von unvorhergesehenen Fehlersituationen zu erholen – und zwar möglichst ohne menschliches Zutun. Zweitens muss ein Roboter, um sein volles Potenzial auszuschöpfen, ein reichhaltiges Angebot an Handlungen bieten und autonom über ihre Ausführungen entscheiden können. Um diese beiden Aspekte zu erfüllen, werden neueste Methoden aus der künstlichen Intelligenz und der Robotik kombiniert.

Konkret sollen zukünftige Roboter in der Lage sein, jederzeit zu verstehen, welche Auswirkungen ihre Handlungen auf die Umwelt haben. Dazu setzen die Methoden von Daniel Leidner und seinem Team auf Physiksimulationen zur semantischen Zustandsschätzung, um Interaktionen des Roboters mit seiner Umgebung in Echtzeit interpretieren zu können. Die Simulation der realen Welt liefert Informationen über mögliche Fehler, die bei der autonomen Ausführung von Aufgaben auftreten. Darüber hinaus kann die Simulationsumgebung mit maschinellem Lernen kombiniert werden, um neue Roboteraktionen zu erlernen, während der Roboter von einem Teleoperator ferngesteuert wird.

Die entwickelten Ansätze sind vielseitig anwendbar. Ursprünglich für die planetare Exploration entwickelt, sollen sie eines Tages zur Steuerung von Robotern auf fernen Himmelskörpern wie dem Mond oder Mars eingesetzt werden. Bis dahin werden die Methoden für Alltagsanwendungen stetig verfeinert.

Das erste terrestrische Anwendungsszenario ist die Unterstützung von Pflegepersonal in Altenheimen. Die Roboter sollen dabei per Teleoperation gesteuert werden, sodass sich wiederholende und zeitaufwändige Aufgaben teilautonom erledigt werden können. Pflegekräfte gewinnen so Zeit, sich vor Ort um die zu pflegende Person zu kümmern. Die Corona-Pandemie hat ein zweites relevantes Anwendungsszenario aufgezeigt, nämlich die Automatisierung von Laborarbeiten. Hier werden die gleichen Telerobotik-Methoden angewandt, um Roboter in Laboren mit hohen Biosicherheitsstufen unter Einhaltung räumlicher Distanzierungsmaßnahmen ferngesteuert und intuitiv zu bedienen.