Besser Forschung fördern – aber wie? Unter dieser Frage stand die Veranstaltung der Werner-von-Siemens-Ring Stiftung, die am 21. September 2017 im Einstein-Saal der Berlin Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften stattfand.
Unter der Moderation von Jan-Martin Wiarda diskutierten Dr. Gabi Grützner, Gründerin und Geschäftsführerin der microresist technology GmbH, Prof. Oliver Günther Ph.D., Präsident der Universität Potsdam, Dr. Henrike Hartmann, Leiterin der Forschungsförderung der VolkswagenStiftung, Steffen Krach, Staatsekretär für Wissenschaft und Forschung in Berlin, sowie wechselnde Diskussionspartner aus dem Jungwissenschaftlernetzwerk der Werner-von-Siemens-Ring Stiftung. Begleitet und kommentiert wurde die Podiumsdiskussion von Prof. Dr. Gesche Joost, Leiterin des Design Research Lab der Universität der Künste und Dr. Tobias Erb, Direktor am Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie.
Relevante Technikforschung – Erkenntnisgewinn als Nebenprodukt?
Wie genau sieht eigentlich relevante Technikforschung aus? Mit dieser Frage an das Podium begann die Diskussion. Im Gegensatz zu den Naturwissenschaften, in denen sehr oft der „Blue Sky Research“ Ansatz an den Universitäten verfolgt werde, gestalte sich Technikforschung sehr viel praxisorientierter, so Günther, der seit 2012 Präsident der Universität Potsdam ist. Relevanz werde daher in den Technikwissenschaften viel enger als in anderen wissenschaftlichen Zweigen an der direkten Anwendungsmöglichkeit und an den daraus resultierenden Produkten gemessen.
Der Jungwissenschaftler Lorenz Schmitt von der Universität Stuttgart wusste zu ergänzen, dass viele Projekte in der Technikforschung eine konkrete Fragestellung hätten, die es zu beantworten gäbe. Im Idealfall ließen sich aus der Forschung aber auch generelle Erkenntnisse gewinnen, aus denen weitere Anwendungen erfolgen könnten. Der Erkenntnisgewinn geschähe in diesem Sinne als unbeabsichtigtes, da zufälliges Nebenprodukt angewandter Technikforschung.
Die Rolle des Zufalls als Entdecker wurde auch von Henrike Hartmann betont. Der VolkswagenStiftung als privater Forschungsförderer sei es wichtig Forscherinnen und Forschern Freiräume zu schaffen, die es ihnen erlauben kreativ und flexibel zu forschen, ohne durch ständige Kontrollmechanismen und Fortschrittsberichte zu stark eingeschränkt zu werden. Als inspirierendes Beispiel führte sie das „Graphen“ an, das nicht durch strikte Planforschung, sondern durch kreatives Experimentieren mit Klebestreifen und Graphit entdeckt wurde, wofür die Entdecker 2010 mit dem Nobelpreis für Physik bedacht wurden.
„Im besten Fall werden auf konkrete Fragestellungen allgemein gültige Antworten gefunden.“
Lorenz Schmitt
Universität Stuttgart, Jungwissenschaftler der Stifung Werner-von-Siemens-Ring
Kommunikation als Pfeiler moderner Technikforschung
Einigkeit bestand auf dem Podium darin, dass im Informationszeitalter eine gute Kommunikation in den Technikwissenschaften unabdingbar geworden sei, um die Öffentlichkeit über erfolgreiche Forschungsprojekte zu informieren und von der Relevanz öffentlicher und privater Technikforschung als Innovationsmotor für Wissenschaft und Wirtschaft zu überzeugen.
Steffen Krach brachte als Beispiel das Warn- und Informationssystem KATWARN ins Gespräch ein. KATWARN wurde ursprünglich als digitale App zur Warnung bei Katastrophen am Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme entwickelt. Die App wurde bereits mehrfach eingesetzt, unter anderem auch im Rahmen des Amoklaufs in München 2016, wodurch es deutschlandweite Bekanntheit erlangte. Ein anderes Beispiel für ein Erfolgsprodukt öffentlich-geförderter Technikforschung ist das MP3 Verfahren zur Kompression von Audiodateien, das sich in der Zwischenzeit weltweit durchsetzen konnte. MP3 wurde in einem gemeinsamen Projekt von der Fraunhofer-Gesellschaft zusammen mit der Universität Erlangen entwickelt.
Nachhaltige Konzepte und Perspektiven
Forschung und Entwicklung unterliegen immer einem Risiko des Scheiterns, das immer auch mit dem persönlichen Schicksal der Forschenden verknüpft ist. Als Beispiel könnte Werner von Siemens gelten, der im März 1849 sein sicheres Amt als Leiter der Technik der preußischen Staatstelegrafen aufgab, um sich ganz der Kommerzialisierung seiner Erfindung des Zeigertelegrafen zu widmen. In der freien Wirtschaft haftet bei Misserfolg im Zweifelsfall der Unternehmer. Wie aber ist das Risiko in der Wissenschaft verteilt? Stehen das Risiko und der Gewinn in der universitären Karriere in einem fairen Verhältnis zueinander?
In Wortbeiträgen von Jungwissenschaftlern wurde vor allem die fehlende Perspektive und Nachhaltigkeit im akademischen System bemängelt. Momentan stehen jeder neu zu besetzenden Professur in Deutschland drei bis vier Nachwuchsstellen gegenüber, so dass selbst bei exzellenter wissenschaftlicher Leistung, eine Berufung nicht mehr selbstverständlich ist. In dieser Hinsicht wurde von allen Teilnehmern des Podiums das soeben durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) eingeführte Tenure-Track-Programm begrüßt. Das Programm werde die Wege universitärer Forscherkarrieren in Zukunft sicherer gestalten unter der Voraussetzung, dass Forscherinnen und Forscher sich erfolgreich im Tenure-Track-Verfahren bewähren.
Eine Frage, die in diesem Zusammenhang kritisch diskutiert wurde, ist, wie erfolgreiche Wissenschaft zu identifizieren sei. Derzeit wird wissenschaftlicher Erfolg vor allem über quantitative Parameter wie Anzahl der Publikationen und Zitationen, Impact-Faktoren von Zeitschriften, sowie eingeworbene Drittmittel definiert. Aus dem Publikum wurde darauf hingewiesen, dass effiziente Forschung und Erfolg nicht die Summe von wissenschaftlicher Leistung („Output“) und erfolgreicher Drittmitteleinwerbung sei. Das Verhältnis von wissenschaftlicher Leistung zu Drittmittelförderung sei eigentlich viel aussagekräftiger. „Besser wäre schon mal Paper pro Drittmittel“, so wörtlich Prof. Matthias Knaut, Vizepräsident für Forschung der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin.
Die Kommunikation mit Bürgerinnen und Bürgern stelle einen wichtigen Pfeiler in der Legitimierung der Technikforschung dar und kann einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, die Akzeptanz öffentlicher und privater Technikforschung erhöhen. Kommunikation ist jedoch keine „Einbahnstraße“. In einer demokratischen Gesellschaft kann Wissenschaftskommunikation nicht als Monolog geführt werden, sondern muss auch immer im Dialog erfolgen. Im Idealfall könnten Bürgerinnen und Bürgern als „Citizen Science“ sogar die direkte Teilnahme an Forschung und Technikentwicklung ermöglicht werden. In Deutschland organisiert seit mehr als fünfzehn Jahren die Wissenschaft gGmbH den Austausch von Wissenschaft und Gesellschaft in verschiedenen Formaten.
In den letzten Jahren hat die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, kurz acatech, mit „Technikzukünfte“ eine weitere Form der Kommunikation eingeführt, die darauf beruht, dass im Dialog mit der Gesellschaft erarbeitet wird, welche zukünftige gesellschaftliche und technologische Realitäten für möglich, mehr oder weniger wahrscheinlich, gewünscht oder unerwünscht gehalten werden. Bürgerinnen und Bürger können dadurch frühzeitig in den Prozess der Technikentwicklung einbezogen werden, um die Wünsche und Sorgen der Bevölkerung im Entwicklungsprozess frühzeitig zu berücksichtigen.
Das grundliegende Problem wie und ob Leistung überhaupt quantifiziert werden kann, blieb in der Diskussionsrunde letztendlich unbeantwortet. Es bildete sich ein Konsens, dass einfache quantitative Parameter wie die Anzahl der Zitationen oder der Impact-Faktor einer Zeitschrift keine geeigneten und ausreichenden Parameter seien, um das wissenschaftliche Potenzial und die Leistung junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu bewerten. Diese Frage wird in Zukunft noch befriedigend beantwortet werden müssen.
Forschung zwischen Projekt- und Personenförderung
Um den Übergang von einer auf kurzlebigen, schnellen Erfolg ausgerichteten Forschung hin zu innovativer, risikoreicher Forschung zu gestalten, werden neue Konzepte in der Forschungsförderung gesucht. Immer wieder kam das Gespräch im Podium auf Förderprogramme, die sich im Gegensatz zur klassischen Projektförderung stärker an der Person des Forschenden orientieren. Als Beispiele wurden die Research Grants des Europäischen Research Councils, oder aber auch die Freigeist-Fellowships der VolkswagenStiftung genannt.
Die Förderung in all diesen Programmen ist stark an die Exzellenz der Antragsstellenden gebunden und mit einem relativ großzügigen Finanzvolumen ausgestattet, das relativ flexibel gehandhabt werden kann. Im Fall der ERC Advanced Grants kann das Budget bis zu 2.5 Millionen Euro über fünf Jahre betragen.
Als interessanter Vorschlag eines neuartigen Förderkonzepts wurde die sogenannte „Bundesprofessur“ angesprochen, die von der Jungen Akademie kürzlich vorgeschlagen wurde. Die „Bundesprofessur“ richtet sich an exzellente Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler und bietet ihnen eine unbefristete Möglichkeit zur selbstständigen Forschung und Lehre an einer Universität ihrer Wahl. Dieses Konzept, das auf eine personenbezogene, langfristige Förderung ausgelegt ist, könnte nach Ansicht von Frau Hartmann die ansonsten stark projektbezogene Förderlandschaft im deutschen Wissenschaftssystem beleben.
Neue Wege gehen: Einfach mal Würfeln?!
Mut zu neuen Förderkonzepten beweist auch die VolkswagenStiftung, die einen interessanten Ansatz verfolgt, in dem sie Förderung – zumindest in einem kleinen Rahmen – in Zukunft dem Zufall überlässt. In dem Förderprogramm Experiment! werden ab diesem Jahr aus dem Pool von Anträgen die überzeugendsten fünfzehn bis zwanzig Projekte von einer Fachjury ausgewählt. Die Jury identifiziert dann weitere qualitativ hochwertige Anträge, von denen etwa weitere fünfzehn bis zwanzig Projekte per Losverfahren bestimmt und gefördert werden.
Ein weiteres innovatives Konzept, dass die Vernetzung von Universitäten mit privaten Stiftungen, Unternehmen und Privatpersonen fördern soll wird in der Einstein-Stiftung durch das Land Berlin erprobt. Mithilfe der „Matching Funds“ wird jeder Euro, den ein Antragssteller aus privaten Mitteln zusätzlich akquiriert gibt das Land Berlin zusätzlich 50 Cent aus öffentlichen Mitteln.
Dass die Privatwirtschaft an Kollaborationen mit Universitäten interessiert ist wurde von Dr. Gabi Grützner attestiert. Gerade wenn es um spezielle Geräte, aufwändige Analyseverfahren und insbesondere um komplexe, innovative Forschungsarbeiten ginge, werden Universitäten zu wertvollen Partnern für kleine und mittlere Unternehmen, so Grützner. Ihr eigenes Unternehmen micro resist technology GmbH hat bereits für verschiedene Fragestellungen und gezielte Produktentwicklungen erfolgreich mit universitären Arbeitsgruppen zusammengearbeitet.
Die Universität der Zukunft
Inwiefern die Universität sich als Ganzes in Zukunft wandeln müsse, um im internationalen Wettbewerb innovativ und kompetitiv zu bleiben, wurde kontrovers diskutiert. Alle Diskutanten stimmten überein, dass Hochschulen chronisch unterfinanziert seien. Ein Grund dafür sei die klamme finanzielle Lage der Bundesländer. Die Unterfinanzierung werde außerdem durch stetig wachsende Studierendenzahlen weiter befeuert; seit 2004 stieg die Studienanfängerquote um fast 20 Prozentpunkte. Diese Steigerung führte dazu, dass die Akademikerquoten in Deutschland sich über die letzten Jahre an die des OSZE Durchschnitts angeglichen hat. Ob dieser Trend tatsächlich zu einem erhöhten Bildungsdurchschnitt geführt habe, bleibe zu diskutieren. Da das deutsche System der dualen Berufsausbildung, wie sie auch und vor allem in technischen Berufen zu finden sei, im OSZE Schlüssel gar nicht adäquat klassifiziert und abgebildet werden könne, müssen diese Zahlen im internationalen Vergleich differenzierter betrachtet werden.
Als Möglichkeit zur strukturellen Erneuerung von Universitäten brachte Staatssekretär Krach die vermehrte Einführung von Departmentstrukturen in das Gespräch ein. Die grundliegende Idee: Abbau des akademischen Mittelbaus zugunsten einer erhöhten Anzahl von Professuren. Forschung wäre vermehrt drittmittelbasiert. Dies würde die Belastungen in Lehre und Administration mindern und die Dynamik in Lehre und Forschung steigern. Die Zahl an festen Professuren im Verhältnis zum Gesamtpersonal würde sich internationalen Zahlen angleichen und insgesamt dem System US-amerikanischer Universitäten annähern.
„Müssen wir Schluss machen mit dem Lehrstuhlprinzip?“
Oliver Günther, der in den Neunziger Jahre aus den USA nach Deutschland zurückwechselte, widersprach hier deutlich. Die Attraktivität und Stärke deutscher Forschung liege für ihn gerade im Lehrstuhlsystem, das große Ressourcen für technikintensive Forschung bieten könne und es erlaube, eine thematische Programmatik in ihrer Tiefe erforschen zu können – ohne auf kurzfristigen Erfolg setzen zu müssen.
Lasst viele Blumen blühen
Mut zum Risiko, so könnte abschließend auch der Tenor der Podiumsdiskussion umschrieben werden, in der sich alle Beteiligten zu mehr Veränderungen in der Förder- und Wissenschaftspolitik aussprachen. In einem Forschungssystem wie dem Deutschen mit seiner stratifizierten Hochschul- und Forschungslandschaft könne die Technikforschung der Zukunft vom Wettbewerb verschiedener Förderkonzepte nur profitieren. Lasst viele Blumen blühen – ein Zitat des Abends könnte hier den Weg in die Zukunft zeigen.
Text: Dr. Tobias Erb
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