Stiftung Werner-von-Siemens-Ring | Forschung und Wirkung: Den Mangel an Lipiden für flächendeckende Impfung überwinden

Forschung und Wirkung: Den Mangel an Lipiden für flächendeckende Impfung überwinden

Die Stiftung Werner-von-Siemens-Ring zeichnet seit 45 Jahren Jungwissenschaftler:innen aus. 1986 ehrt sie den im selben Jahr habilitierenden Chemiker Dieter Schinzer.

Rund 36 Jahre später bewährt sich sein Leitsatz „Meinen Studenten sage ich immer, wir müssen vom Molekül zum Produkt gelangen“ mit Forschungsergebnissen, die die Bewältigung der globalen COVID-19-Pandemie unterstützen.

Pharmazeutisches Cholesterol aus pflanzlichen Rohstoffen

2021 gelingt es Prof. Dr. rer. nat. Dieter Schinzer und seinem Team vom Institut für Chemie der Fakultät für Verfahrens- und Systemtechnik der Universität Magdeburg gemeinsam mit Kolleg:innen des Unternehmens CordenPharma erstmals, mit einem hocheffektiven Verfahren aus pflanzlichen Rohstoffen pharmazeutisches Cholesterol herzustellen.

Damit wird es möglich, große Mengen des dringend für die Produktion und Verabreichung der modernen mRNA-basierten Impfstoffe nötigen Moleküls verfügbar zu machen, um weltweit die COVID-19-Pandemie zu bekämpfen.

Rolle der Lipidstoffe

Cholesterol ist ein wesentlicher Teil des Lipid-Cocktails, der für die Applizierung der fertigen Impfstoffe notwendig ist. Lipide, griechisch Fette, sind eine Sammelbezeichnung für größtenteils wasserunlösliche Moleküle, die gemeinsam mit dem mRNA-Fragment so genannte Lipid-Nano-Partikel (LNP) bilden, die den Impfstoff letztendlich in die Zellen schleusen.

Um die Aufnahme durch einige wenige Körperzellen zu ermöglichen, wird die mRNA mit Lipidstoffen umhüllt, so dass mRNA-Lipidnanopartikel entstehen. Diese sind auch nach der Impfung ausreichend stabil und ermöglichen die Aufnahme der mRNA in einige wenige Körperzellen, wo der Bauplan gelesen wird und das Spike-Protein produziert wird. An der Zelloberfläche erfolgt dann die Erkennung durch die Immunzellen und es werden Antikörper gegen das Spike-Protein gebildet. Studien haben gezeigt, dass die Lipidnanopartikel nicht zellschädigend (zytotoxisch) sind und von ihnen keine Gefahr für den menschlichen Körper ausgeht.

„Das von uns nun synthetisch erzeugte Cholesterol ist dabei äußerst relevant, da es die Lipid-Nano-Partikel stabilisiert und die Freisetzung des Impfstoffs in das Cytosol der Zelle ermöglicht“, erläutert Schinzer.

Vorteil der pflanzlichen Quelle

Bislang kommen die Hauptmengen des industriell benötigten Cholesterols aus tierischen Quellen: entweder durch Extraktion aus Fett von Schafwolle oder aus tierischem Gewebe. Über humane und veterinäre Medizinprodukte besteht dadurch ein Risiko zur Übertragung der spongiformen Encephalopathie (TSE), einer irreversiblen Schädigung des Gehirns.

„Bei der Produktion von Cholesterol aus pflanzlichen Rohstoffen können solche Verunreinigungen und Kontaminationen nicht auftreten“, so Schinzer.

Überwindung des Mangels von Lipiden

„Durch diesen Produktionsprozess wird ein wichtiger Schritt zur Überwindung des Mangels von Lipiden bei der Produktion weltweit benötigter und lebensrettender Impfstoffe geleistet, um die Pandemie erfolgreich zu bekämpfen“, erklärt der Chemiker Schinzer.

„Cholesterol fehlte bislang in dem Baukasten verschiedener Lipide, die in großem Maßstab bei CordenPharma hergestellt werden“, so der Wissenschaftler weiter. „Um diesen zu vervollständigen, begann Projektleiter Dr. Lionel Roux von CordenPharma Untersuchungen, um eine Cholesterol-Synthese aus Pflanzenmaterial zu entwickeln. Aus der seit langem etablierten Kooperation meines Lehrstuhls mit dem Unternehmen entstand dann eine große Studie möglicher Herstellungsszenarien für Cholesterol“, so Schinzer.

Hochschule und Industrie kooperieren

Schließlich gelang dem Forscherteam dann erstmals eine einfache und kurze Synthese von Cholesterol. Schinzer: „Nach sehr harten Tag- und Nachtschichten im Labor und diversen ‚brain storming sessions‘ der beteiligten Teams konnten der Doktorand Maxim Munt und Dr. Oliver Spieß aus meinem Team den Durchbruch erzielen und die ersten Gramm-Mengen von pflanzenbasiertem Cholesterol synthetisieren.“

Das durch diesen neuen Prozess gewonnene Cholesterol wurde bereits als Markenname BotaniChol® registriert und zum Patent angemeldet. Die industrielle Produktion von BotaniChol® bei CordenPharma hat bereits begonnen und die Produktionskapazität wird aktuell erweitert.

Über Prof. Dr. rer. nat. Dieter Schinzer

Schinzer studierte von 1974 bis 1977 an der Philipps-Universität Marburg Chemie und erwarb 1980 bei Prof. Manfred T. Reetz an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn mit der Arbeit „Präparative und mechanistische Aspekte von Hydrideliminierungen aus Carbanionen“ einen Doktorgrad (Dr. rer. nat.).

Als Postdoktorand arbeitete Schinzer mit einem Feodor-Lynen-Stipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung bei Prof. Clayton H. Heathcock an der University of California, Berkeley, USA, und mit einem Liebig-Stipendium des Fonds der Chemischen Industrie an der Gottfried Wilhelm-Leibniz-Universität Hannover, wo er 1986 bei Prof. Ekkehard Winterfeldt auch habilitierte. Ebenfalls 1986 erhielt er eine Ehrenmedaille der Stiftung Werner-von-Siemens-Ring für Jungwissenschaftler.

Mit Unterstützung des Heisenberg-Programms arbeitete Schinzer zunächst weiter an der Universität Hannover, bevor er 1989/90 eine Interimsprofessur an der Georg-August-Universität Göttingen innehatte. Eine Gastprofessur führte Schinzer an die University of Wisconsin-Madison, USA, bevor er 1990 an der Technischen Universität Braunschweig eine Professur erhielt. 1996 erhielt Schinzer einen Ruf an die Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg.

Von 2002 bis 2005 war er außerdem Dekan der Fakultät für Verfahrens- und Systemtechnik der Universität Magdeburg. Schinzer war und ist in zahlreichen Gremien der europäischen Wissenschaftsorganisation COST aktiv.

Schinzer befasst sich vor allem mit der Totalsynthese biologisch aktiver Naturstoffe, mit Arzneistoffdesign und der Beziehung zwischen chemischer Struktur und der Funktion von Molekülen. Neben Samuel J. Danishefsky und Kyriacos C. Nicolaou, beide USA, zählte Schinzer zu den ersten, denen eine Totalsynthese eines Epothilons gelang, einem weltweit von der Pharmaindustrie entwickelten Anti-Tumor-Wirkstoff.

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