Stiftung Werner-von-Siemens-Ring | Den Pflegenotstand bekämpfen – mit Assistenzrobotern?

Forschung und Wirkung: Den Pflegenotstand bekämpfen – mit Assistenzrobotern?

von hinten fotografierte, in einem Sessel sitzende Person, die am linken Arm von der Hand eines blau-silberfarbenen humanoiden Roboters berührt wird. Davor auf weißem Grund das Wort-Bild-Logo der Stiftung Werner-von-Siemens-Ring

Der aktuelle Pflegenotstand ist ein Problem, das sich durch Faktoren wie den demographischen Wandel zunehmend verschärft. Können Roboter Teil einer dringend gesuchten Lösung sein? Das versuchen der ausgezeichnete Jungwissenschaftler und KI-Forscher Daniel Leidner und sein Team am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) herauszufinden. Die Vision: Eigenständige, fehlertolerante Roboter könnten Pflegepersonal zukünftig bei alltäglichen Aufgaben unterstützen. Pfleger:innen hätten so mehr Zeit, sich um wirklich Wichtiges zu kümmern: die Patient:innen.

Am 12. Mai wird der internationale Tag der Pflege begangen. Er geht zurück auf den Geburtstag der britischen Krankenpflegerin und Pionierin der modernen Krankenpflege, Florence Nightingale. Ihr Wirken im 19. Jahrhundert trug dazu bei, dass sich die Krankenpflege professionalisierte und zu einem gesellschaftlich geachteten und anerkannten Beruf entwickelte.

Pfleger:innen sind eine tragende Säule der Gesundheitsversorgung. Die Alten- und Pflegeeinrichtungen stehen jedoch vor einer Mammutaufgabe: Die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland hat sich zwischen 1999 und 2021 mehr als verdoppelt: von 2,02 Mio. auf 4,96 Mio. Und es ist anzunehmen, dass sich dieser Trend fortsetzt. Durch die zunehmende Alterung der Gesellschaft könnte die Anzahl pflegebedürftiger Menschen Schätzungen zufolge bis 2055 um weitere 37 % steigen.

© Statistisches Bundesamt (Destatis), 2023

Auch der Bedarf an Pflegekräften steigt rasant – ohne, dass es ausreichend Personal gibt, um diese Lücken zu füllen.

Das Problem verschärft sich dadurch, dass die Arbeitsbedingungen in der Pflege aktuell wenig attraktiv sind: Neben der hohen psychischen Belastung durch die Arbeit an Patient:innen, sind Pflegekräfte großen körperlichen Anstrengungen ausgesetzt. Personalmangel führt zudem zu Anspannungen in der Erledigung der zahlreichen kleineren und großen Handgriffe.

Hier kommt der Gedanke an technische Unterstützung ins Spiel: Was, wenn Pfleger:innen eine Assistenz zur Seite stünde, die häufig wiederkehrende, zeitaufwändige Routineaufgaben übernimmt und so Zeit und Raum schafft für mehr unersetzliche zwischenmenschliche Zuwendung den Patient:innen gegenüber?

Ursprünglich für die Erforschung des Weltraums angelegt, beschäftigt sich die Arbeit des KI-Forschers Daniel Leidner mit der Frage, wie Roboter in Zukunft autonomer werden können, um den Menschen in verschiedenen Anwendungsbereichen zu unterstützen. Für seine Forschung wurde Leidner 2022 von der Stiftung Werner-von Siemens-Ring als Jungwissenschaftler ausgezeichnet.

Zwei Aspekte sind bei der Funktionalität der Roboter entscheidend: Erstens muss ein autonomer Roboter in der Lage sein, sich von unvorhergesehenen Fehlersituationen zu erholen. Und das möglichst ohne menschliches Zutun. Zweitens muss ein Roboter, um sein volles Potenzial ausschöpfen zu können, einen viel reichhaltigeren Katalog an Aktionen bereitstellen als bisherige Modelle und zudem in der Lage sein, autonom über die Ausführung dieser Aktionen zu entscheiden. Um dies möglich zu machen, kombinieren Daniel Leidner und sein Team neueste Methoden der künstlichen Intelligenz und der Robotik. Konkret sollen Roboter zukünftig in die Lage versetzt werden, jederzeit zu verstehen, welche Auswirkungen ihre Handlungen auf die Umwelt haben.

Schwerpunkt von Leidners ausgezeichneter Arbeit ist die Steigerung der Resilienz von Robotern. Roboter sollen dazu befähigt werden, den Dienst trotz eines Ausfalls fortzusetzen und dies unabhängig davon, ob dieser durch interne oder externe Bedingungen ausgelöst wird. Äußere (Stör-)Faktoren sind dabei von besonderer Bedeutung, da Roboter, anders als beispielsweise hochautomatisierte Autos oder andere autonome Systeme, bewusst mit ihrer Umgebung interagieren und in Kontakt mit ihr treten. Daniel Leidner und sein Team fokussieren sich deshalb vor allem auf die Resilienz gegenüber Situationen, die durch externe Fehler und Bedingungen hervorgerufen werden.

Dabei werden Simulationen zur sogenannten semantischen Zustandsschätzung genutzt, um Interaktionen des Roboters mit seiner Umgebung in Echtzeit interpretieren zu können. Die Messungen in der Simulation der realen Welt liefern Informationen über mögliche Fehler, die bei der autonomen Ausführung von Aufgaben durch den Roboter auftreten könnten. Darüber hinaus kann die Simulationsumgebung mit maschinellem Lernen kombiniert werden. So kann der Roboter neue Aktionen erlernen, während er von einem Teleoperator ferngesteuert wird.

Die Erhöhung der Widerstandsfähigkeit von Robotern ist ein entscheidender Schritt zu ihrem erfolgreichen Einsatz, der dazu beitragen kann, gesellschaftliche Herausforderungen zu meistern. Ein Anwendungsszenario für die von Daniel Leidner und seinem Team entwickelten Roboter ist die Unterstützung von Pflegepersonal in Altenheimen. Die Roboter sollen dabei per Teleoperation gesteuert werden, sodass repetitive und zeitaufwändige Aufgaben teilautonom erledigt werden können. Somit stünde der Pflegekraft vor Ort wieder mehr Zeit zur Verfügung, sich um die Menschen zu kümmern.

Daniel Leidner leitet die Gruppe für fehlertolerante Autonomiearchitekturen am Institut für Robotik und Mechatronik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Hier ist auch seine Nachwuchsgruppe für fehler- und unsicherheitstoleranten universellen Roboterbetrieb (FUTURO) angesiedelt. Seit 2016 ist Leidner Koordinator des Rollin‘ Justin-Teams. Er promovierte 2017 an der Universität Bremen, wo er mit dem Helmholtz-Doktorandenpreis im Forschungsbereich Raumfahrt und dem Georges-Giralt-PhD-Award für die beste europäische Doktorarbeit in der Robotik ausgezeichnet wurde. 2019 wurde er zum „MIT Technology Review Innovator Under 35“ ernannt. Es folgten 2020 die Ernennung als „Business Punk Top 10 in Tech & Engineering“ und als „Falling Walls Emerging Talent“.

Lesen Sie hier mehr zu Leidners Forschung, für die er 2022 auch als Jungwissenschaftler der Stiftung Werner-von-Siemens-Ring ausgezeichnet wurde.