Stiftung Werner-von-Siemens-Ring | Ringverleihung 2018 – Schlusswort von Nathalie von Siemens

Ringverleihung 2018 – Schlusswort von Nathalie von Siemens

Dr. Nathalie von Siemens
bei der Verleihung des Werner-von-Siemens-Ringes
an Joachim Milberg und Hasso Plattner
am 13. Dezember 2018
in Berlin

„Nur nicht überall das tötende Wort „Es geht nicht“ aussprechen!“

„Iterativ Arbeiten, nicht vom Ergebnis her, sondern lernen.“

„Sich in der Sache so richtig streiten , sich sachfetzen.“

„Um die Ecke blicken können, Wendepunkt erkennen, Pionier sein.“

 

Sehr geehrter Herr Bundespräsident, Herr Steinmeier,

sehr geehrte neue, alte Träger des Werner-von-Siemens-Rings,

lieber Herr Professor Ullrich,

lieber Bert,

sehr geehrte Festgäste,

können Sie auf Anhieb sagen, welche der obigen Sätze sich auf Werner von Siemens beziehen und welche auf Professor Hasso Plattner oder Professor Joachim Milberg?

Als ich mich auf den heutigen Abend vorbereitet habe, habe ich mich gefragt, was verbindet die heutigen Ringträger mit Werner von Siemens? Und dazu habe ich mit ein paar Menschen gesprochen, die beide Preisträger sehr gut kennen, weil sie lange mit ihnen zusammengearbeitet haben. Ich habe gefragt, welche Eigenschaften oder welche Begriffe ihnen als erstes in den Sinn kommen, wenn sie an Joachim Milberg und Hasso Plattner denken. Und dann habe ich daneben gestellt, was mir in den Sinn kommt, wenn ich an Werner denke.

Werner wäre heute 202 geworden. Ziemlich alt. Und trotzdem hat er uns offensichtlich noch viel zu sagen. Werner war ein großer Briefeschreiber und hat über alle möglichen Themen geschrieben. Wenn man die liest, fällt auf, das 21. Jahrhundert – unserer Zeit – und das 19. Jahrhundert – seine Zeit – sind sich ziemlich ähnlich. Disruptive Technologien, Paradigmenwechsel, Beschleunigung, Vernetzung, Veränderung von Arbeit und über allem diese große Sehnsucht nach dem Sinn, das was wir heute neudeutsch „purpose“ nennen, die Antwort auf die Frage „Warum?“.

Aber jetzt zur Auflösung. Der erste Satz – mit dem tötenden Wort – ist von Werner. Werner wollte sich nicht davon aufhalten lassen, dass Menschen auf neue Ideen meistens mit der Annahme der Unmöglichkeit oder der Unnötigkeit reagieren. Die anderen Begriffe beziehen sich auf unsere heutigen Preisträger. Aber sie könnten genauso gut über Werner gesagt worden sein. Er konnte sich sehr gut in der Sache streiten. Es gibt wunderbare Briefwechsel mit seinen Brüdern, in denen sie sich alles Denkbare und Undenkbare an den Kopf werfen. Werner wusste, dass Konflikte für Fortschritt nötig sind. Und er hat sie nicht gescheut. Aber er war immer in der Lage, einen Konflikt im Blick auf eine gemeinsame Position zu überwinden. Geholfen hat dabei sein großer Humor. Humor mit einem ziemlich trockenen Witz. Und einer guten Portion Selbstironie. Ich glaube, wir haben heute sehen können, dass auch darin unsere Preisträger dem Werner ziemlich ähnlich sind.

Werners Humor hat ihm auch geholfen, mit Fehlern umzugehen. Werner hat Fehler nicht gemocht. Aber er hatte den Mut sie zu machen. Er wusste, dass auf den Weg zu Neuen Fehler passieren müssen, dass Fehler der schnellste Weg sind zu lernen. Und das gilt auch heute. Es gehört ganz wesentlich zu Kreativität und der Fähigkeit, Probleme zu lösen.

Werner war disruptiv. Brodelnd. Auch er konnte um die Ecke blicken und Wendepunkte – inflection points – erkennen. Wir verstehen diese Wendepunkte meist als technologische Paradigmenwechsel. Aber es ging auch um Wendepunkt in Wissenschaft und Bildung. Bildung – und auch das haben wir heute schon gehört – ist entscheidend für das gesellschaftliche Gelingen eines technologischen Paradigmenwechsel.

Die industrielle Revolution hat enormen Wohlstand gebracht. Und nicht nur einzelnen Unternehmern. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit wurde es breiten Schichten ermöglicht, an Wohlstand teilzuhaben. Aber das war nicht von Anfang an so. In nur einer Generation veränderte die industrielle Produktionsweise das Leben der Menschen radikal. Es stellte sich auf einmal „die soziale Frage“. Nach Werners Analyse war der wesentliche Faktor, dass es Arbeitern selten möglich war, sich Kapital zu ersparen. Seine Antwort war eine praktische, wo er entscheiden konnte, in seinem eigenen Unternehmen: Reduzierung der Arbeitszeit, Gewinnbeteiligung, Prämienzahlungen, Einführung einer Pensions-, Witwen- und Waisenkasse. Sein Unternehmen arbeitete seither mehr, effizienter und besser.

Aber das brachte noch keine Lösung für die gesamte, frühe industrielle Gesellschaft. Ein wichtiger Schritt war die Sozialgesetzgebung Bismarcks, die viele der sozialen Innovation von Unternehmern – nicht nur, aber eben auch Werner – verbindlich machte. Der wichtigste Hebel aber lag in der Bildung.

Die industrielle Produktion – also die Herstellung von möglichst vielen Gütern mit derselben Qualität, in möglichst kurzer Zeit, unterstützt von Maschinen – beruht auf drei Prinzipien: Standardisieren. Memorieren. Repetieren. Wer in der industriellen Produktion arbeiten will, was Voraussetzung für die Teilhabe am industriellen Wohlstand ist, muss genau diese Fähigkeiten beherrschen. Und die soziale Frage fand genau dann ihre Lösung in der Breite, als das Bildungswesen sich auf eben diese Fähigkeiten des Standardisieren, Memorierens und Repetierens konzentrierte. Und das sind großartige Fähigkeiten. Wenn man die beherrscht, kommt man zu großartigen Ergebnissen. Und genau mit diesem Erlernen dieser Fähigkeiten konnten viele Menschen erfolgreich an der industriellen Wertschöpfung teilnehmen. Bis heute ist die industrielle Produktion weitgehend Basis für unseren Wohlstand.

Und jetzt erleben wir die nächste Revolution durch die Digitalisierung. Und wer an der digitalen Wertschöpfung teilhaben will, braucht wiederum die entsprechenden Fähigkeiten und Haltungen. Es sind Fähigkeiten wie kritisches Denken, kreative Problemlösung oder Kooperation und das was man im Englischen „character“ nennt. Wir fassen diese Fähigkeiten unter dem Begriff der „21st century skills“ zusammen.

Nur, unser Bildungswesen ist darauf nicht, oder noch nicht so richtig, eingestellt. Wie im 19. Jahrhundert läuft die Entwicklung der Bildung der Entwicklung der Technologie hinterher.

Ich bin überzeugt: Auch mit dem heutigen technologischen Paradigmenwechsel muss ein Paradigmenwechsel in der Bildung einhergehen. Sonst werden wir eine neue soziale Frage haben.

Die digitale Spaltung – Herr Bundespräsident, Sie haben das Wort Spaltung benutzt. Und wir dürfen hier keine Zeit verlieren.

Werner hat auf die Herausforderungen seiner Zeit mit Bildungshunger für sich und seine Familie reagiert. Er coachte die Brüder und später seine Kinder bei Mathematik, Physik und technischem Zeichnen, vermittelte Ausbildungen, band die Brüder früh in seine Unternehmungen ein. Und er gründete mit der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt eine wissenschaftliche Institution, die bis heute als PTB von enormer gesellschaftlicher Relevanz ist. Wir haben von ihrer Geschichte gehört, Professor Ullrich.

Auch die heutigen Ringträger stehen nicht nur für Wendepunkt in der Technik. Beide stehen auch für „inflection points“ in Wissenschaft und Bildung.

Sie, sehr geehrter Professor Milberg, als Lehrender für die wichtige, wichtige MINT-Bildung, an bedeutenden Universitäten wie der TU München. Und Sie haben als Gründungspräsident der acatech eine Organisation geprägt, die wie kaum eine andere Innovationskraft in die Technikwissenschaften voranbringt.

Und Sie, sehr geehrter Professor Plattner, haben mit dem Hasso-Plattner-Institut eine Lehr- und Forschungsstätte geschaffen, die genau den für die digitale Revolution nötigen Paradigmenwechsel in der Bildung schafft.

Sie stehen beide für Unternehmertum, das die Chancen von technologischer Disruption in die gesamte Gesellschaft trägt. Unternehmertum, das zeigt, dass auch die digitale Revolution eine Zeit des Aufbruchs ist und der Hoffnung. Eine Zeit des Innovationshunger nicht nur der Angst. Solches Unternehmertum schafft Gravitationszentren, die unsere Gesellschaft zusammenhalten. Und das brauchen wir so, so dringt.

Ich danke Ihnen als Bildungsaktivisten von ganzem Herzen für das, was Sie unserer Gesellschaft schenken. Und ich darf auch im Namen meiner Familie sehr herzlich zu Ihrer Würdigung als Träger des Werner-von-Siemens-Rings gratulieren. Herzlichen Glückwunsch!

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