Stiftung Werner-von-Siemens-Ring | „Technologietransfer braucht Grenzgänger“

„Technologietransfer braucht Grenzgänger“

Prof. Dr. Hartmut Weule

Prof. Dr. Hartmut Weule – Er predigt nicht nur den Wechsel zwischen Hochschule und Industrie – er lebt ihn vor. Nach mehr als sechs Jahren als Forschungschef im Vorstand der Daimler-Benz AG in Stuttgart transferierte Prof. Dr.-lng. Hartmut Weule die gewonnenen Erfahrungen auf die ,,andere Seite“ und übernahm 1997, wie schon 1982, Lehrstuhl und Leitung des Instituts für Werkzeugmaschinen und Betriebstechnik an der Universität Karlsruhe. In den darauf folgenden Jahren gründete er eine englischsprachige internationale Abteilung – das heutige International Department des KIT – und schrieb ein Buch über integriertes F&E-Management.

Prof. Dr. Hartmut Weule ist seit 1996 gewähltes Mitglied des Stiftungsrats.

Wegschauen hilft nicht: Der lndustriestandort Deutschland ist gefährdet. Nach wie vor entstehen aus vielen guten Ideen von 100000 Forschern in diesem Land zu wenig Produkte und Dienstleistungen, die auf den Weltmärkten zu Verkaufserfolgen werden. Es hapert am Technologietransfer. Würde er reibungsloser funktionieren, konnten mehr heimische Arbeitsplätze gesichert und neue geschaffen werden.

Bis hierhin herrscht weitgehend Einigkeit zwischen Politik, Gewerkschaften, Wissenschaft und Wirtschaft. Aber wenn es darum geht, wie der Technologietransfer in Deutschland verbessert werden kann, scheiden sich die Geister. immer wieder ist die Forderung zu hören: ‚Wir brauchen mehr Technologietransfer-Stellen“ Viele tausend Menschen sind hierzulande offiziell damit beauftragt: an Industrie· und Handelskammern, an Universitäten, in Unternehmen. Dahinter steht ein Denken, wie es für große Verwaltungen charakteristisch ist: Angesichts eines Missstandes benennt man einen Zuständigen für dessen Behebung. Damit ist das Problem dann vom Tisch – scheinbar.

Das ist der falsche Weg. Technologietransfer funktioniert nur über Menschen, die ihre neuen Ideen eigenständig „verkaufen“, andere von deren Nützlichkeit überzeugen können. Technologietransfer ist in seinem Kern nichts anderes als Kommunikation. Funktioniert er nicht gut genug, muss ein Kommunikationsproblem vorliegen. Anscheinend genügt nicht, was hauptamtliche Technologietransfer-Beauftragte in erster Linie tun: Forscher und potentielle Anwender miteinander ins Gespräch zu bringen.

Ein Treffen zu organisieren und eine neue Idee mit allen Beteiligten an einem Tisch zu diskutieren, ist richtig. kann aber nur der erste Schritt sein. lch habe gelernt: Hält die Runde die Idee für verwirklichenswert, muss einer das daraus ableitbare Vorhaben formulieren, konkrete Aufgaben verteilen. Termine setzen und auch weiterhin die Faden in der Hand behalten. Das geht nicht ohne – gemeinsam vereinbarte – Zwänge und Selbstverpflichtungen, die jeder der Beteiligten sich auferlegt. Andernfalls bleibt die gute Idee ungenutzt.

Keinem noch so engagierten Technologietransfer-Beauftragten könnte man diese Funktion zuweisen. Auf diesen Platz gehört der Forscher. der persönlich an der Verwirklichung seiner Produktidee mitarbeitet. Er weiß schließlich am meisten darüber. Und glaubwürdiger kann man nicht nachweisen, dass man von seiner Idee überzeugt ist, als durch konkretes Engagement.

Das heißt in der Praxis: Der Forscher sollte mit seinem Projekt sein Labor verlassen und persönlich dorthin umziehen, wo seine Idee in ein Marktprodukt umgesetzt werden kann.

Für den Forscher an einer Hochschule oder Großforschungseinrichtung bedeutet das, zeitlich begrenzt in ein Industrieunternehmen oder zumindest in eine industrienahe Projektstruktur zu wechseln. Für den lndustrieforscher bedeutet das, den Wechsel in einen Entwicklungsbereich seines Unternehmens. Wenn es sich um Grundlagenforschung oder um eine Methodenidee handelt, sollte der lndustrieforscher ihr an einer Universität oder Großforschungseinrichtung nachgehen können.

Der Umzügler profitiert von seinem Rollentausch, die Volkswirtschaft vom rascheren Wissenstransfer. Der Wissenstransport zwischen Hochschule und Industrie über Menschen sollte Normalität werden. Aber dahin ist es ein weiter Weg.

Nach dem Wechsel zurück an die Universität bat ich die deutschen Wissenschaftsministerien um Auskunft, wie viele Professoren derzeit von ihren Universitäten für eine lndustrietätigkeit beurlaubt sind. Ergebnis: Die Beurlaubten sind in jedem Bundesland an einer Hand abzuzahlen. Manchmal ist es nur ein einziger oder auch gar keiner. Das so notwendige Wechseln zwischen den Welten findet bei uns praktisch nicht statt.

Es ist nicht verwunderlich, dass neue Ideen es da schwer ha en, an Boden zu gewinnen. Wenn man neue Technologien in der Praxis umsetzen will, muss man gegen das Beharrungsvermögen des Bestehenden kämpfen. Neben einer aussichtsreichen Idee bedarf es des „Propheten“, der sie hartnäckig vertritt.

Für den Mikrokosmos eines modernen, gut geführten Unternehmens gilt dasselbe wie für den Makrokosmos von Staat und Gesellschaft: Um Ideen zu realisieren, muss man menschliche Netzwerke schaffen aus fachlich erfahrenen, begeisterbaren Menschen, die wiederum andere Menschen desselben Zuschnitts kennen.

Aber Netzwerke kommen nur ungenügend zustande, wenn Know-how-Träger lebenslang in „ihrer Welt“ bleiben. Vor allem zweierlei hemmt den Wechsel zwischen Industrie und Hochschule:

Erstens: Die Flexibilität, einen einmal eingeschlagenen Weg – und sei es nur für eine gewisse Zeit – zu verlassen, ist nicht sehr ausgeprägt.

Zweitens: Die strukturellen Rahmenbedingungen erschweren denjenigen, die wechselwillig sind, den Übergang.

An unseren Universitäten wird es nicht nur mit Freude gesehen, wenn einer der Professoren in die Industrie will. Wer betreut die Diplomanden und Doktoranden des Scheidenden? Wer übernimmt seine Lehrveranstaltungen?

Nicht weniger problematisch ist es, wenn ein wechselwilliger lndustrieforscher auf einen Lehrstuhl berufen werden soll. Das scheitert häufig bereits an den unterschiedlichen Gehaltsstrukturen. Die Vergütungsrichtlinien für Beamte und Angestellte im Öffentlichen Dienst – leider auch an den Großforschungseinrichtungen – sind mit den Gehaltern von Top-Leuten aus der Industrie nicht kompatibel.

Aber es steht dem Wechsel von lndustrieforschern an deutsche Hochschulen weit mehr im Weg als nur schlechtere Entlohnung. Auf einen Nenner gebracht: Während sich die Landschaft bei Wirtschaft und Arbeitsmarkt in den letzten zehn Jahren drastisch geändert hat, haben unsere Universitäten es versäumt, sich ausreichend mit zu verändern.

Das deutsche Hochschulsystem braucht Reformen. Die wichtigste betrifft das Berufungsverfahren bei der Besetzung der Lehrstuhle: Nur Hochschulinterne berufen einen neuen Professor. Auf den Blickwinkel von berufserfahrenen, entsprechend qualifizierten Fachleuten wird weitgehend verzichtet. Bei unseren Schweizer Nachbarn, an der ETH Zürich, habe ich kennengelernt, wie qualitätssteigernd es für die Auswahl ist, wenn im Berufungsverfahren für einen Maschinenbauprofessor auch drei externe lndustrievertreter sitzen.

Was muss getan werden, um die Barrieren zwischen den Welten der Industrie und der Wissenschaft auf breiter Front aufzubrechen?

Das Wichtigste wird sein, den hierzu notwendigen Austausch von Menschen zu stimulieren. Ich denke, alle Beteiligten sind gefordert: Auf der individuellen Ebene muss es zum Selbstverständnis eines anwendungsnahen Wissenschaftlers gehören, in der Praxis Erfahrungen zu sammeln beziehungsweise aufzufrischen. Von institutioneller Seite – Ministerien, Universitätsleitungen, Industrie – müssen Anreize für einen stärkeren Austausch definiert und die Rahmenbedingungen geschaffen werden.

Für die Projekte ist der Austausch über Menschen der wichtigste Ansatz für einen schnellen und erfolgreichen Technologietransfer. Der zweitwichtigste Ansatzpunkt für optimalen Technologietransfer ist ,,gemeinsames Geld“. Was meine ich damit? Bei Industriefirmen hatte sich als erfolgreich erwiesen, Forschern und Entwicklungsgruppen ein gemeinsames Budget zu geben. Beide Gruppen entscheiden selbst über die Mittelverteilung, um vorgegebene oder selbst erarbeitete Zielsetzungen zu erreichen. Ähnliche Mechanismen laufen zwischen den Teilnehmern von Verbundvorhaben ab. Bei diesen Budgetverteilungsprozessen entstehen gemeinsam abgestimmte Teilarbeitspakete, die Gruppenmitglieder kommunizieren intensiv und so hat jeder den gleichen Informationsstand.

Dieser Diskussionsprozess ermöglicht nachfolgend ein schnelles und gemeinsames abarbeiten der einzelnen Teilaufgaben und man erreicht schneller das Ziel und damit einen schnellen Technologietransfer.

Neben dem „Austausch von Menschen“, dem ,,gemeinsamen Geld“ gibt es noch einen weiteren Einflussfaktor für einen schnellen und erfolgreichen Technologietransfer: Dies ist der sogenannte hochrangige Kümmerer. Was meine ich damit?

Ich möchte dieses an zwei Beispielen erläutern. Im ersten Jahr meiner Tätigkeit als Forschungschef der Daimler-Benz AG war mir klar geworden, dass zwei größere Projekte besonders vorangetrieben werden sollten. Das erste war das brennstoffzellengetriebene Fahrzeug, das zweite war das vollautomatische Fahren. Für beide große Vorhaben wurden bereichsübergreifende Projektgruppen eingesetzt.

Meine Zielsetzungen waren die folgenden:

  • in fünf Jahren möchte ich in ein Methanol-Brennstoffzellen-Fahrzeug einsteigen, starten und unmittelbar losfahren.
  • In fünf Jahren möchte ich in ein Fahrzeug steigen und vollautomatisch nachts über eine regennasse Landstraße mit 100 km/h fahren.

Für die Projekte wurden regelmäßige Meilensteintermine mit dem Vorstand durchgeführt, bei Problemen konnten sich die Projektleiter direkt an mich wenden. Diese Funktion des Kümmerers machte allen Mitarbeitern die Bedeutung dieses, ihres Projektes deutlich und ist ein hervorragendes Element zur Motivation der Projektgruppen.

Aus meiner langjährigen Erfahrung als Hochschul- und Industrieforscher sind diese Elemente des Austauschs von Menschen, das gemeinsame Budget und der hochrangige Kümmerer die wesentlichen Voraussetzungen für einen schnellen und erfolgreichen Technologietransfer.

Mehr Technologietransfer zu fordern, ist eine Sache. Ihn zu fördern, ist eine andere – und zwar die wichtigere.

Prof. Dr. Hartmut Weule

Quelle: Mit Auszügen aus Artikel ,,Wir brauchen Grenzgänger“, Hartmut Weule, Bild der Wissenschaft 1997

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